Die Spendenaktion im vorherigen Facebook-Eintrag ist so wichtig. Und sie hat mich wieder getriggert. Ja, es ist wichtig, Aufklärung und Unterstützung für Frauen und Mädchen zu organisieren. Denn das, worum es darum geht, verändert dein Leben für immer. Aber anders wie bei einem Unfall gibt es selten Hilfe. Im Gegenteil, oft bleibt es ein Leben lang schwer. Das muss sich ändern. Darum heute meine Offenheit.
Ich war immer gut in der Schule. In manchen Fächern sogar sehr gut. Ich war zwar immer schüchtern, konnte mich aber vor die Klasse stellen und Vorträge halten. Das änderte sich. Ich hatte meinen ersten Freund. Es war nicht die große Liebe, aber ok als Teenager. Dann fuhr meine Mutter zur Kur. Ihr Bruder lud mich ein, sie zu besuchen. Zwei Stunden mit dem Auto, Bad Eilsen. Wir tranken zusammen Kaffee. Ihr Bruder erzählte meiner Mutter, wo wir anschließend Skilaufen wollte haarklein. Drei Stunden später wusste ich warum.
Wir machten beim Skilaufen eine Pause. Da stand er hinter mir. So begann es immer. Er warf mich auf den vereisten und schneeharten Boden, wo auch Steine gewesen sein müssen. Es geschah. Bis heute mühe ich mich, meinen Überlebenstrick zu überwinden. Wird langsam, sonst gäbe es diese Zeilen nicht. Meine Seele verlässt dann irgendwie meinen Körper, um es nicht zu spüren. Als er fertig war, war mein Leben ein anderes geworden. Wir liefen zum Auto zurück. Er sagte zu mir: “Wenn du irgendetwas sagst, wird dir niemand glauben.” Zwei Stunden schweigend zurück. Nur das Radio.
Zu Hause war niemand. Ich fühlte nichts mehr. Ich hatte vorher nie geraucht, nie Drogen gekannt, nie getrunken. Es war niemand da. Das war so selten. Irgendwann nahm ich eine beliebige Flasche Alkohol von meinen Eltern. Da ich das noch nie getan hatte, wurde mir später grottenübel. Mein Bruder, der saubermachte, tat mir leid. Dann wollte ich mit meinem Vater und mit meinem Freund reden. Aber es ging nicht. Schließlich ging ich dazu über, die Küchenschränke auszuräumen zu polieren. Meine Brüder waren sauer, weil sie neben Putzmitteln essen mussten. Sie sagten aber nichts. Ich fühlte mich oft krank. Anfangs ging ich noch zum Arzt. Dann schwänzte ich einfach so. Ich duschte brühend heiß und konnte nicht aufhören, bis mein Bruder mich dazu brachte. Meine Mutter kam von der Kur wieder und ich wurde so zornig. Mein Bruder musste oft für Ruhe sorgen. Nach weiteren Übergriffen, bei denen meine Mutter bei offener Tür im Nebenraum saß, begann ich mich vor ihr zu ekeln. Beim Umziehen beim Schwimmen und bei der gemeinsamen Krankengymnastikgruppe ekelte mich der Anblick, sie berühren konnte ich nur mit äußerster Überwindung. Ich war froh aufhören zu können, als ich heiratete, natürlich den falschen.
Ich kämpfte hart für mein Abitur und lernte hart. Die schriftlichen Prüfungen liefen fast wie gewohnt ab. Dann kam die mündliche Prüfung. Ich hatte gelernt, es war das richtige Thema. Ich setzte mich zu der Prüferin und dem Prüfer an den Tisch, sagte ‘Hallo.’ Und alles verschwamm in meinem Kopf. Ein von 15 Punkten. Alle weiteren mündlichen Prüfungen in meinem Leben waren zwar nicht so brutal schlecht, aber immer dasselbe Problem. Seit Jahren trainiere ich das freie Sprechen wieder.
Schlimmer allerdings für mich waren andere Folgen. Ich hatte von klein auf erblich bedingt ein schwaches Skelett und mit zwölf die ersten Rückenprobleme. Bei der Brutalität auf dem harten Boden knackste meine Wirbelsäule. Wenn mein späterer Ehemann überhaupt mal etwas für mich tun sollte, dann diese drei Stellen im unteren Rücken massieren. Heute ist eine Stelle zu verkorkst, dass ich einem Behindertenausweis habe.
Noch schlimmer waren die Regelschmerzen. Ich habe den Tag meiner Gebärmutterentfernung gefeiert, weil ich ein Regelfreies Leben führen durfte. Leider ergab sich bei den Untersuchungen im weiten Vorfeld, das meine Kinderlosigkeit von jenem Ereignis herstammte. Und dieser Teil meines Frauseins fehlt mir bis heute. Gegen die Regelschmerzen und heftigen Blutungen ging meine Mutter mit mir zum Frauenarzt. Sie bestimmte, dass ich die Pille bekam. Mit siebzehn oder noch sechszehn. Ich versuchte auszuziehen, aber dann bekam ich Angst vor einer Wiederholung.
Also heiratete ich. Natürlich den falschen. Aber wohin sollte ich gehen? Täter schützen sich natürlicherweise auch. Meine Mutter hat mich schon als Teenager bei meinen Brüdern verunglimpft. Da ich nicht reden konnte und teilweise verdrängte, wusste auch niemand, was los war. Meinen Freund hatte ich in die Wüste geschickt. Nur ein in mich verliebter Mitschüler schien meine Veränderung zu bemerken und wohl auch ein Stück weit zu begreifen.
Mein Exmann verschleierte durch Lügen und, als kurz vor meiner Trennung von ihm, als er mir richtig wehtat, gängelte er mich noch mehr, rückte mir förmlich auf die Pelle, vollkommen unerträglich, und bat einen befreundeten Polizisten um Hilfe, der mich mit meinem Exmann in einem Raum einschloss und bedrohte. Mit genau solchen Worten wie mein Onkel: Es wird dir keiner glauben. Also halt die Klappe.
Während der Scheidung traf ich auf den Weißen Ring. Sie halfen wirklich. Ich klagte nach dem Opferentschädigungsgesetz. Dann sollte ich nach Jahren zu einem Psychologen in einer weit entfernten Stadt. Zwei oder dreimal wurde ich stundenlang befragt. Ich war lange nicht so weit wie heute. Ich hatte noch nie alles erzählt. Sogar der Antrag war mir schwer gefallen. Und dann wurde ich befragt. Es war so grauenvoll. Ich hatte mich sicherheithalber fahren lassen. Ich fand nicht einmal das Auto wieder, ich brauchte Tage, um mich zu erholen. Und dann hieß es : Diese fremde Psychologin, behaupte ich lüge. Das Gutachten meiner eigenen langjährigen Ärtzin, die meinen Exmann kannte, und manche Übergriffe mitbekommen hatte, und mir auch am Tag, nachdem mein Exmann mich fast mit einem Kissen erstickt hatte, half, für eine Weile aus der Stadt zu kommen, wurde nicht anerkannt.
Wie wirkungsvoll Lügen sind, sieht man daran, dass mein Bruder mit meinem Exmann und meiner Mutter Kontakt hat, aber nicht mit mir.
Ich sehe heute die positiven Seiten. Nach meiner Scheidung habe ich schon vieles nachgeholt und gelebt. Meine Familie fehlt mir nicht. Ich merke, wie ich in vielen Dingen ganz schön stark geworden bin. Aber ich habe auch Frauen kennengelernt, die daran zerbrochen sind. Und ich denke, dass sind sehr viele. Und darum ist die Arbeit der oben erwähnten Aktion so wichtig. Diese Frauen und Mädchen brauchen ein Gesicht. und Fürsprecher. Denn in der Gesellschaft haben sie die nicht. Das muss sich ändern.
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